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Presse

Süddeutsche Zeitung vom 26. März 2010

Ich will in den Bildern rumsauen

Wie Achternbusch auf LSD: Seit Jahren verfilmt Herbert Fritsch "Hamlet", wie zum Beispiel jetzt wieder in "Elf Onkel"

Wahrscheinlich gibt es nicht viele Schauspieler, die sich so exzessiv mit Shakespeares "Hamlet" beschäftigt haben wie Herbert Fritsch. Zur Blütezeit der Berliner Volksbühne war Fritsch an diesem Theater, an dem an Exzentrikern wahrlich kein Mangel herrschte, einer der eigensinnigsten Schauspieler im Ensemble, ein Vollkaracho-Performer, der sich von Regisseuren schon mal gleich gar nicht domestizieren ließ. Seit zehn Jahren verfilmt Fritsch jetzt als sein eigener Autor, Regisseur und Produzent mit befreundeten Künstlern "Hamlet"-Szenen - ohne Auftraggeber, ohne großen Etat, ein No-Budget-Independent-Filmer, der macht, was er will.

Christoph Schlingensief spielte für Fritsch Ophelias Frauenarzt, Martin Wuttke legte als durchdrehender König Claudius einen hysterischen Anfall hin, der Ärzte-Rockmusiker Bela B. beschimpfte vor Fritschs Kamera als Orgienfachmann des dänischen Hofes Hamlet als "alte langweilige Frustbeule", und die Berliner "Tatort"-Kommissare Boris Aljinovic und Dominic Raacke verhörten als Rosenkranz und Güldenstern einen verwirrten Kleinkriminellen namens Hamlet in der echten "Tatort"-Deko. Regieanweisung von Fritsch: "Macht halt, was ihr wollt."

Nebenbei entwickelt Fritsch bei seinem manisch betriebenen "hamlet_X" interaktive Hamlet-Spiele, Zeichentrickfilme und 3-D-Animationen zu "Hamlet", ein ganzes "Hamlet"-Universum, das man auf der Internetseite www.hamlet-X.de besichtigen kann. Was könnte schließlich besser ins Internet passen als ein Drama, das mit der Frage nach einem Passwort beginnt - in diesem Fall das Passwort der nächtlichen Wachen in Schloss Helsingör.

Es ist ein wucherndes, tendenziell endloses Projekt, was ja dem immer neu interpretierbaren "Hamlet"-Stoff durchaus angemessen ist. Vorläufiges Ziel sind nicht weniger als 222 Hamlet-Filme - die Hälfte mit dem Shakespeare-Text, die andere Hälfte frei erfunden rund um die Dramenfiguren. Was ist zum Beispiel aus dem Jugendfreund des toten Hofnarren Yorik geworden, der mit Yorik auf der Hofnarren-Schule war, dann aber keine Karriere gemacht hat und jetzt immer noch neidisch auf den zwar toten, dank Shakespeare aber berühmten Kollegen ist? Bei Fritsch erfahren wir auch das.

Jeden dieser 222 "Hamlet"-Splitter will der Gesamtkunstwerk-Serientäter mit anderen Darstellern und jeweils in einem anderen Stil verfilmen - keine kohärente "Hamlet"-Deutung, eher eine "Hamlet"-Explosion, ein "Hamlet"-Overkill, ein komplett aus dem Ruder gelaufener, polyperspektivischer "Hamlet"-Endlosroman. 57 dieser Hamlet-Clips kann man derzeit auf der "hamlet_X"-Internetseite sehen, etwa ein Viertel des geplanten Gesamtwerks. Von Corinna Harfouch bis Thomas Thieme, von Hannelore Hoger bis Jürgen Holtz treten jede Menge Stars mit einer anarchisch ungebremsten Spielfreude auf.

"Das ist ein barockes, mäanderndes Erzählen, das gut zur wuchernden Struktur des Internets passt", sagt Fritsch zu seinem so aberwitzigen wie konsequent durchgezogenen Versuch, Shakespeares Theater und den Cyberspace kurzzuschließen. Wobei das Internet nicht das einzige Medium ist, auf das Fritsch Shakespeare loslassen will. Am liebsten würde er zum Beispiel sämtliche deutschen Fernsehformate mit dem "Hamlet"-Virus infizieren - von den Nachmittags-Trash-Talkshows bis zu den "Tagesthemen", vom "Traumschiff" bis "Deutschland sucht den Superstar". Weshalb sollten Jauch, Kerner, Bohlen oder Anne Will nicht mal in der Deko ihrer Sendung Shakespeare-Texte in die Kamera sprechen, dem Niveau wie dem Unterhaltungswert könnte diese fröhliche Übernahme nur guttun. Fritsch: "Ich verstehe wirklich nicht, weshalb das deutsche Fernsehen das nicht einfach mal macht: jeden Tag fünf Minuten ,Hamlet', immer zu einer anderen Uhrzeit, immer in einem anderen Sender. Das wäre doch total lustig!"

Das neueste Werk aus Fritschs Shakespeare-Factory ist der Kinofilm "11 Onkel", den er in der vergangenen Woche in der Berliner Volksbühne zum ersten Mal öffentlich zeigte. Das ist, logisch, eine "Hamlet"-Verfilmung, aber eine, die aussieht, als hätten sie Herbert Achternbusch und Luis Buñuel gemeinsam auf LSD gedreht und anschließend mit allen Finessen der digitalen Bildbearbeitung in einen psychedelischen Trip verwandelt, der beim Zusehen abwechselnd Schwindelgefühl, Gelächter, ratloses Staunen und vor allem gute Laune auslöst. Die Bilder werden mit der Bluebox collagiert, Darsteller vervielfältigt, Körper zerfetzt und neu zusammengesetzt, bis ein abgehackter Kopf in einer Blutlache Shakespeares unsterbliche Verse deklamiert. Das gleicht in der Spielweise mal einem Haudrauf-Jahrmarkttheater, mal der Expressivität des Stummfilms, und in der Erzählweise ist das ein wilder Hybrid der Stile und Bildästhetiken, unbekümmert sämtliche Genre-Spielregeln brechend, virtuos in der Beherrschung der Mittel.

Fritschs ästhetisches Minimalprogramm klingt nach Punk: "Ich will in den Bildern rumsauen! Ich will alles machen, was für Filmpuristen nicht geht. Das ist im besten Sinn ein Amateurfilm. Der Amateur ist der Liebhaber." Also das Gegenteil eines öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsdienstleisters.

Von einer Cluborgie über eine Abendmahlszene mit dem verelffachten Onkel (Herbert Fritsch) bis hin zu einem Afrikaner, der im Schlauchboot von Afrika nach Europa paddelt, hat so ziemlich alles Platz in diesem "Hamlet"-Trip. Mit anderen Worten: "11 Onkel" dürfte die radikalste "Hamlet"-Mutation seit Heiner Müllers "Hamletmaschine" und wahrscheinlich der lustigste Experimentalfilm des Jahres sein.

Gedreht haben das Fritsch und seine Koautorin Sabrina Zwach im Sommer 2007, Fritsch hatte gerade an der Volksbühne gekündigt und keine Ahnung, wie es weitergeht in seinem Künstlerleben. Also filmte er in einem Brandenburger Landhaus in gerade mal sieben Tagen, mit geliehener Technik, in einer aus dem Fundus diverser Theater organisierten Deko und mit lauter ohne Gage mitspielenden Freunden das Material für den 100-Minuten-Film. Dreh-Etat: null Euro. Künstlerische Freiheit: im Prinzip unbegrenzt. Spaßfaktor: enorm. Das Ensemble wimmelt von Stars, die es krachen lassen: Alexander Khuon spielt Hamlet und wird von seiner Teilzeitgeliebten (Jule Böwe) prompt, kleiner Insiderwitz, als "Vatersöhnchen" beschimpft.

Zu den Überraschungen des Films gehört, dass Hamlets Vater hier noch lebt. Gespielt wird er vom für sein sprödes Theater so bewunderten wie gefürchteten Regisseur Dimiter Gotscheff - hier ein düsterer Killer und zu allem entschlossener Actionheld. Angefeuert von den Rufen des Regisseurs aus dem Off ("Hau ihm den Kopf auf den Boden! Aber ganz langsam! Du musst ihn jetzt töten!") macht er einen Angreifer nieder. Ein Stoiker, der tut, was ein König in einer blutigen Rachetragödie halt so tun muss. Und dann geht das immer so weiter, bis der Film jedem im Zuschauerraum der Volksbühne das Hirn rausgeblasen hat.

Wer nicht das Glück hat, Fritschs "11 Onkel"-Film im Berliner Kino "Babylon" oder dem einen oder anderen Theater sehen zu können, muss warten, bis zum Beispiel Zweitausendeins oder Kinowelt dieses tolle, verstrahlte und fröhlich radikale Kunstwerk als DVD rausbringt.

 

PETER LAUDENBACH

(SZ vom 26.3.2010)

 

 

Tagesspiegel vom 19. März 2010

 

Der Mann, der an der Rampe wohnt

Ewig Hamlet: Herbert Fritsch stellt an der Volksbühne seinen "Elf Onkel"-Film vor.

Das sind aber wirklich sehr böse Onkels, und sie treten auch gleich in Fußballmanschaftsstärke auf. Elf gegen einen. Prinz Hamlet hat es mit einer erdrückenden Übermacht zu tun, denn der elffache Onkel, der Mörder seines Vaters und neuer Gatte seiner Mama, ist auch noch der Regisseur. Und Hauptdarsteller dieser abgedrehten Chose sowieso.

Herbert Fritsch kehrt an die Volksbühne zurück, den Ort seiner ruhmreichen Untaten. Er war Frank Castorfs Buster Keaton, Action-Held, Clownsphilosoph, eleganter Strizzi und Stuntman in eigener Sache, damals, als die Volksbühne Jahr für Jahr die Champions League gewann mit ihrem galaktischen Ensemble. Henry Hübchen, Martin Wuttke, Milan Peschel, Bernhard Schütz – und bei den Frauen Sophie Rois, Kathrin Angerer und wie sie alle hießen: alle weg. Beim Fernsehen, im Kino, auf anderen Bühnen. Fritsch inszeniert jetzt in Oberhausen, Halle und Leipzig, und er hat einen Film gemacht. „Elf Onkel“, eine Koproduktion mit dem ZDF-Theaterkanal. Fritschs Hamlet-Obsession in Spielfilmlänge, nachdem er früher schon im Dutzend seine „Hamlet X“-Clips auf DVD herausgebracht hat. Hamlet, das ist für den 59-Jährigen ein Universalgefäß, ein Fass ohne Boden, dem er mit nie nachlassender Lust die Krone ins Gesicht schlägt – so wie die Volksbühne früher als scheinbar unerschöpfliches theaterterroristisches Biotop funktionierte.

Ja, dieses verdammte Früher. Es steht am Ende aller Bühnenmärchen, und man will sich auch gar nicht von dem Phantomschmerz lösen, wenn „der Herbert“ da plötzlich wieder auf der großen Volks-Bühne steht und sein „Elf Onkel“Filmteam vorstellt. So richtig ist er also doch nicht an den Rosa-Luxemburg-Platz zurückgekehrt, doch die Filmbühnen-Premiere beschert ihm ein volles Haus, die unbequemen Seesäcke sind mit Fans und Freunden belegt, und ein Hauch von alter Anarchie weht durchs Haus....

---> den Rest des Artikels bei Tagesspiegel lesen

Rüdiger Schaper

 

Nachtkritik vom 18. März 2010

Unsinn is the new Sinn

18. März 2010. Elf Onkel, das klingt erstmal nicht sehr nach Shakespeare, sondern sehr nach Klamotte. Charleys Tante und seine elf Onkel vielleicht. Oder die Geschichte der verschollenen Brüder von Tante Jutta aus Kalkutta. Und es ist natürlich auch eine Klamotte. Aber es ist auch Shakespeare, Hamlet sogar. Zumindest beinahe. Denn der Programmzettel nennt als Urheber jenen dänischen Mönch, der unter dem Namen Saxo Grammaticius im 12. Jahrhundert eine mehrbändige Geschichte der Dänen schrieb, wo auf der Schwelle zwischen Mythos und Historie auch die Urform jenes Plots zu finden ist, aus dem Shakespeare etwa 300 Jahre später sein berühmtes Drama machen würde: "Amleds Rache" nämlich.

Doch ehe man sich nun allzutief in Pseudowissenschaftliches versenkt, muss zu Protokoll gegeben werden, wovon hier überhaupt die Rede ist: von Herbert Fritschs erstem abendfüllendem Spielfilm Elf Onkel, der gestern abend in der Volksbühne Premiere hatte. Ein Werk, dass auch mal auf den Punkt bringt, wieso dieses Genre überhaupt SPIELfilm heißt.

Aus dem Fritsch-notorischen Hamlet_X-Universum

Doch war der gestrige Abend auch insofern ein historisches Ereignis, da Fritsch als einer der großen Stars des Castorf-Ensembles vor einigen Jahren rüde verabschiedet worden war und nun mit diesem Event so etwas wie eine symbolische Aussöhnung des Hauses mit einem seiner berühmtesten Protagonisten konstatiert werden konnte.

---> den Rest des Artikels und Kommentare bei nachtkritik.de lesen....

 

cinema.de sagt:

"Der experimentelle Film von Volksbühnen-Schauspieler und Regisseur Her­bert Fritsch interpretiert den Mythos "Hamlet" auf eigenwillige Weise neu: albern, quietschbunt, sperrig, schräger als bei Shakespeare und voller labyrinthischer, ungewöhnlicher Perspektiven. Zur Promi-Besetzung zählen Alexander Khuon ("Lila, Lila"), Alexander Scheer ("Das wilde Leben") und Jule Böwe ("Katze im Sack"). 

Fazit: Ein eigenwilliger, experimenteller Trip"

 

MotorFM

"Hamlet auf Droge": hier nachhören.

 

Welt vom 1. April 2010

Orgien des Lachens

von Stefan Keim
Wie Herbert Fritsch, einst Star-Schauspieler der Volksbühne, sich als Komödien-Regisseur neu erfindet

 

Schlussapplaus, Jubel, der Regisseur kommt. Aber die Schauspieler lassen ihn nicht durch, sie halten sich an den Händen, verneigen sich, bilden eine Wand. Der Mann hüpft hinter ihnen, deutet mit den Händen auf sich. Ich! Ich hab's gemacht! Ich bin wichtig! Vergebens, die meisten Schauspieler sind größer als er, man sieht ihn nur sekundenkurz. Ein absurder Kampf um die Wahrnehmung des Publikums entsteht, die fröhliche Hysterie der Aufführung setzt sich fort.
Applausordnungen sind oft das Beste an Herbert Fritschs Inszenierungen. Was nicht heißen soll, dass vorher wenig passiert, im Gegenteil. Der 59jährige liebt ein Repertoire, das sonst eher von den braven Routiniers bedient wird, damit die Abonnenten nicht erschrecken. Herbert Fritsch liebt Boulevardkomödien, Lustspiele, vor allem die französischen. Molière, Labiche, jetzt inszeniert er gerade am Leipziger Central Theater "Oscar" von Claude Magnier, dessen Verfilmung mit Louis de Funès ein Klassiker der Kinokomödie ist.
Fritsch, der viele Jahre lang große Rollen an Frank Castorfs Berliner Volksbühne verkörperte, treibt die Schauspieler stets in extreme Stilisierungen.

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